Donnerstag, 15. Januar 2015

Hamburgteile 48B

Fotos 9.1.2015






Je Suis Madame Hamburg


Eines Morgens stand ich auf, zog diese dunklen hohen Schuhe an und hörte wie der Kaffee in der Nachbarwohnung brodelte. Dieses Geräusch begleitete den Windsound am geschlossenen Fenster. Immer kam etwas Bewegung durch die Ritzen. Man konnte es an der Gardine sehen. Sie bewegte sich, wie der Atem unter einer Bettdecke.

Ich ging hinaus. Der Sturm stellte sich mir wie eine Wand entgegen. Mein schwarzer Mantel flatterte und meine Absätze machten es zusätzlich schwierig mit dem Laufen. In einer halben Stunde hatte ich den Termin beim Chef. Ein kleines Frühstück war noch drin in der Bahnhofskneipe. Zwiebelmett und Wildmarmelade und schwarzer Kaffee.

Ich bekam einen Anruf von der Vorzimmerdame: ich solle auf jeden Fall pünktlich sein, denn er hätte grade heute jede Menge Termine. Ich sah hinaus aus dem Fenster der Kneipe, sah diese wetterartige Entgleisung und glaubte ihr sofort. Jetzt war es Zeit zu eilen. Die kichernden Mädchenstimmen auf dem Bahnhof hallten mir noch lange im Ohr. Sie hatten über Bilder gelacht, die sie sich gegenseitig elektronisch zugeschickt hatten. Bunte Bilder.

Als ich durch einen langen karg beleuchteten Tunnel musste, schaute ich nach, ob mein Kleid unter dem Mantel gut saß und auch meine Unterwäsche, vor allen Dingen der Büstenhalter. Ich wollte nicht verwohnt vortreten, keinesfalls den Anschein einer verbumfeiten Rocklady machen oder ähnliches vom weiblichen Leben Verzimmertes. Schließlich war ich Zeichnerin. Ich konnte mit wenigen Strichen eine Emotion darstellen.

Mein Stift war meine Waffe. Aber eine Waffe der Liebe.

Endlich angekommen, musste ich am Automaten eine Nummer ziehen. Es war die 0001. Der Automat hatte grade ein neues Zeitalter eingeläutet. Die Vorzimmerdame war ganz in schwarz gekleidet. Sie trug ein hautenges langes Kleid, war weiß in ihrem erstaunlich runden Gesicht mit einem recht süßen Muttermal auf der Wange. Neben ihr stand ein junger Boy mit nacktem vollkommen rasierten Oberkörper, der eine Fliege trug. Sie wies auf ihn.

„Alfred wird dich jetzt zu IHM führen!“ Er gab mir eine Pille, die aus dem getrockneten Schweiß und ein paar Hautirritationen des Chefs bestand. Die Pille schmeckte bitter, denn sie war eine bittere Pille. Nur mit Mühe konnte ich den Brechreiz unterdrücken.

Dann stand der Chef plötzlich vor mir und sagte: „Ich hab nicht viel Zeit. Zieh dich aus und zeig mir, was wir der Welt übrig lassen können!“

Übereilt entkleidete ich mich, warf alles ab, was ich zuvor dusseliger Weise korrekt und akkurat angezogen hatte und präsentierte mich ihm mit dieser typischen Geste – also Hände vor Brust und Bauch.

„Wie war noch mal dein Name?“, fragte er.

Er hatte übrigens ein kullerrundes Gesicht, gewitzte Augen und eine Glatze, war leicht dicklich und viel unscheinbarer als ich ihn mir vorgestellt hatte. Aber vielleicht war er auch nur ein oberer Vertreter vom Chef, also eine Art Beamter, der eben ein anderes Gesicht hatte. Denn der Chef hatte an solchen Tagen ja sehr viel zutun. Es konnte aber auch sein, dass er in der Lage war jedes irdische Äußere anzunehmen, was er für passend hielt. Dies sollte ich aber nicht mehr herausfinden.

Er wiederholte dann seine Frage.

„Wie war noch mal dein Name?“

„Madame Hamburg!“

15. Januar 2015


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