Je
Suis Madame Hamburg
Eines
Morgens stand ich auf, zog diese dunklen hohen Schuhe an und hörte wie der
Kaffee in der Nachbarwohnung brodelte. Dieses Geräusch begleitete den Windsound
am geschlossenen Fenster. Immer kam etwas Bewegung durch die Ritzen. Man konnte
es an der Gardine sehen. Sie bewegte sich, wie der Atem unter einer Bettdecke.
Ich
ging hinaus. Der Sturm stellte sich mir wie eine Wand entgegen. Mein schwarzer
Mantel flatterte und meine Absätze machten es zusätzlich schwierig mit dem
Laufen. In einer halben Stunde hatte ich den Termin beim Chef. Ein kleines
Frühstück war noch drin in der Bahnhofskneipe. Zwiebelmett und Wildmarmelade
und schwarzer Kaffee.
Ich
bekam einen Anruf von der Vorzimmerdame: ich solle auf jeden Fall pünktlich
sein, denn er hätte grade heute jede Menge Termine. Ich sah hinaus aus dem
Fenster der Kneipe, sah diese wetterartige Entgleisung und glaubte ihr sofort.
Jetzt war es Zeit zu eilen. Die kichernden Mädchenstimmen auf dem Bahnhof
hallten mir noch lange im Ohr. Sie hatten über Bilder gelacht, die sie sich
gegenseitig elektronisch zugeschickt hatten. Bunte Bilder.
Als
ich durch einen langen karg beleuchteten Tunnel musste, schaute ich nach, ob
mein Kleid unter dem Mantel gut saß und auch meine Unterwäsche, vor allen Dingen
der Büstenhalter. Ich wollte nicht verwohnt vortreten, keinesfalls den Anschein
einer verbumfeiten Rocklady machen oder ähnliches vom weiblichen Leben
Verzimmertes. Schließlich war ich Zeichnerin. Ich konnte mit wenigen Strichen
eine Emotion darstellen.
Mein
Stift war meine Waffe. Aber eine Waffe der Liebe.
Endlich
angekommen, musste ich am Automaten eine Nummer ziehen. Es war die 0001. Der
Automat hatte grade ein neues Zeitalter eingeläutet. Die Vorzimmerdame war ganz
in schwarz gekleidet. Sie trug ein hautenges langes Kleid, war weiß in ihrem
erstaunlich runden Gesicht mit einem recht süßen Muttermal auf der Wange. Neben
ihr stand ein junger Boy mit nacktem vollkommen rasierten Oberkörper, der eine
Fliege trug. Sie wies auf ihn.
„Alfred
wird dich jetzt zu IHM führen!“ Er gab mir eine Pille, die aus dem getrockneten
Schweiß und ein paar Hautirritationen des Chefs bestand. Die Pille schmeckte
bitter, denn sie war eine bittere Pille. Nur mit Mühe konnte ich den Brechreiz
unterdrücken.
Dann
stand der Chef plötzlich vor mir und sagte: „Ich hab nicht viel Zeit. Zieh dich
aus und zeig mir, was wir der Welt übrig lassen können!“
Übereilt
entkleidete ich mich, warf alles ab, was ich zuvor dusseliger Weise korrekt und
akkurat angezogen hatte und präsentierte mich ihm mit dieser typischen Geste –
also Hände vor Brust und Bauch.
„Wie
war noch mal dein Name?“, fragte er.
Er
hatte übrigens ein kullerrundes Gesicht, gewitzte Augen und eine Glatze, war
leicht dicklich und viel unscheinbarer als ich ihn mir vorgestellt hatte. Aber
vielleicht war er auch nur ein oberer Vertreter vom Chef, also eine Art
Beamter, der eben ein anderes Gesicht hatte. Denn der Chef hatte an solchen
Tagen ja sehr viel zutun. Es konnte aber auch sein, dass er in der Lage war
jedes irdische Äußere anzunehmen, was er für passend hielt. Dies sollte ich
aber nicht mehr herausfinden.
Er
wiederholte dann seine Frage.
„Wie
war noch mal dein Name?“
„Madame
Hamburg!“
15.
Januar 2015
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